Wie schön wäre das, wenn wir gar nichts an unserem Lebensstil ändern müssten, und das Weltklima trotzdem wieder ins Gleichgewicht bringen könnten. Sehr schön, oder? Leider ist das recht unrealistisch.
Mir kommt vor, wenn Politikerinnen und Politiker über den Klimawandel und ihre Lösungsstrategien für die von ihm verursachten Herausforderungen sprechen, geht’s sehr viel um technische Innovation. Besonders oft um technische Innovation zur Bekämpfung von Symptomen der Erderhitzung, weniger um deren Prävention. Man anerkennt das Problem steigender Meeresspiegel und die Lösung ist ein höherer Damm. Nicht wahnsinnig originell, aber offensichtlich auch der Zugang von Karl Nehammer, wie er in seiner Zukunftsrede klar gemacht hat.
Aber nochmals und das ist mir wirklich wichtig, weil wir leben ja in einer Zeit der Verkürzung, der Klimawandel ist ernst zu nehmen. Die Folgen daraus sind ernst zu nehmen. Innovation, Technologie, Fortschritt, das sind die Möglichkeiten, wie wir ihn begegnen können. [sic!]
Karl Nehammer
Wir leben in einer Zeit der Verkürzung. Was der Kanzler sagt, ist das beste Beispiel dafür. In seiner gesamten Rede gibt’s keinen einzigen Hinweis darauf, dass wir uns in unserem verschwenderischen Lebensstil einschränken sollten. Zurücknehmen sollen sich nur andere: Migrant*innen und Klimakleber*innen zum Beispiel. Das Problem ist: Die Rechnung kann sich so nicht ausgehen. Sie ist nämlich eindeutig ohne echte Menschen gemacht.
Man kann das an sehr vielen Beispielen sehen. Hier ist nur eins davon:
Schon 2010 hat sich der Guardian gefragt, ob die Ökobilanz von E-Mails tatsächlich besser ist, als die von Briefen. Immerhin muss ja eine E-Mail nicht ausgedruckt oder über Straßen transportiert werden. Und tatsächlich emittiert eine E-Mail ohne Anhang im Schnitt nur ein Sechzigstel der CO2-Äquivalente eines Briefs. Da hat uns der technische Fortschritt also tatsächlich geholfen. Aber nur auf den ersten Blick. E-Mails sind billiger als Briefe und werden sehr viel schneller zugestellt. Also haben wir uns daran gewöhnt, sehr viel mehr Mails als Briefe zu schreiben (auch an Leute, die in Rufweite mit uns im Büro sitzen). Laut Nachhaltigem Warenkorb erhalten Büroangestellte im Durchschnitt zwischen 30 und 55 Mails pro Tag (allerdings auch mit Anhang). Plus: Wir schreiben zusätzlich immer noch Briefe.
Eine Studie von Ovo-Energy hat 2019 ergeben, dass alleine in Großbritannien jeden Tag 64 Mio. unnötige E-Mails pro Tag verschickt werden (bei einer Population 67 Mio.). Und: Würde jeder erwachsene Brite/jede erwachsene Britin eine Danke-E-Mail weniger pro Tag verschicken, würde das 16,4 t CO2 pro Jahr sparen.
Der Rebound-Effekt schluckt also die Einsparungsmöglichkeit durch den technischen Fortschritt. Wenn eine digitale Sache effizienter funktioniert und nicht so große Umweltauswirkungen hat, wie die analoge Alternative, tendieren wir dazu, sie sehr viel überschwänglicher zu verwenden, und machen so den positiven Effekt wieder zunichte.
Jetzt gibt’s hier natürlich einen berechtigten Einwand: Was ist, wenn die E-Mail unter Verwendung von grünem Strom emissionslos geschrieben und zugestellt wurde? Das ist unbestritten super für die CO2-Bilanz. Leider ist das aber nicht der Standard. Und selbst wenn das mal Standard wird, ist es nicht nur eine gute Nachricht. Was erhöhter Stromverbrauch z.B. für die Biodiversität in den Stauseen von Wasserkraftwerken heißt, hat der WWF am Kraftwerk Kaunertal dokumentiert. Der immer öfter auftretende und größer ausfallende Schwall wird zur Todesfalle für Jungfische. Manche Fischbestände können sich auch jetzt schon kaum noch erholen.
Meine Vorstellung vom Umgang mit dem Klimawandel ist ein bisschen anders als die des Kanzlers. Ich glaube, es zahlt sich aus, nicht nur die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen, sondern auch die Ursachen. Und dafür muss man sich eingestehen: Der Lebensstil von Menschen in Nordamerika und Europa ist einer der Hauptverursacher der Klimakrise. Würden alle Menschen so leben wie wir hier in Österreich, bräuchten wir 3,5 Erden.
Das heißt, wir brauchen nicht nur Innovation, Technologie, Fortschritt (was auch immer das heißen soll). Wir brauchen auch ein Wirtschaftsverständnis, das die Erde als wichtigsten Stakeholder begreift; und in vielen Bereichen eine Reduktion auf das Wesentliche. Ich finde, wir sollten dringend mal drüber reden, wie das konkret aussehen könnte.